Besonderheiten der Theaterarbeit im Gefängnis

Arbeitsbedingungen im Gefängnis
Die Theaterarbeit im Gefängnis unterliegt einem streng reglementierten System aus Sicherheitsvorschriften, Kontrollen und festen Abläufen.
Das bedeutet im Konkreten für die Arbeit:
Persönliche Gegenstände (Handys, Laptops, Portemonnaies etc.) dürfen nicht mitgenommen werden.
Spiel- und Arbeitsmaterialien müssen vorab vom Sicherheitspersonal geprüft und genehmigt werden.
Gegenstände, die als Waffe oder Fluchtwerkzeug fungieren könnten, sind verboten.
Das Aufnehmen von Foto- und Videomaterial ist grundsätzlich nicht erlaubt. Wird aber in Ausnahmefällen, zur künstlerischen Verwendung mit ausreichender Unkenntlichmachung der Inhaftierten, gestattet. 
Die Probenzeiten sind nicht flexibel, da sie an den Tagesablauf und das Zu- und Abführen der Inhaftierten durch das Gefängnispersonal (inklusive der Einschlusszeiten) gebunden sind.

Die Proben werden in der Regel von zwei Theaterpädagog*innen geleitet und von einer/m Mitarbeiter*in der JVA begleitet.

Aufführungen
Aufführungen sind nur innerhalb der Gefängnismauern möglich. Neben internem Publikum (Mitarbeiter*innen, Insass*innen) ist externes Publikum in begrenztem Maße erlaubt. Jede*r externe Zuschauer*in muss sich vorab anmelden und registrieren lassen. 

Außenformate
Mit Formaten, die im "Außen" sichtbar sind (z.B. Lesungen, Kunstinstallationen) versucht Theater hinter Gittern eine Brücke zwischen dem Innen und Außen zu schlagen und dem Leben hinter Gittern und den dort lebenden Menschen mehr Präsenz zu verleihen.

Probenformate

  • Gefängnisinterne Schulen
    Die Arbeit in den internen Schulen verläuft in Workshops und greift schulspezifische Themen auf. Die Theaterproben sind fester Bestanteil des Stundenplans und somit verpflichtend.
    In Absprache mit dem Lehrpersonal werden Inhalte geplant, die bei der schulischen Entwicklung der Schüler*innen (u.a. Konzentration, Sprache, Präsenz) unterstützen sollen.
  • Gefängnisinterne Betriebe
    Im Rahmen der gefängnisinternen Arbeit werden ebenfalls Theaterprojekte durchgeführt. Die Teilnahme ist verpflichtend und wird entsprechend der Tagesgehaltes vergütet. Bei Verweigerung kann die Teilnahme beendet und die reguläre Arbeit weitergeführt werden. Es wird über ein ¾ Jahr ein Stück erarbeitet und aufgeführt.
  • Freie Gruppen
    Im Rahmen der Freizeit werden ebenfalls Theaterprojekte angeboten. Die Teilnahme beruht auf Freiwilligkeit. Interessierte Insass*innen können sich für das Projekt bewerben und erst nach Erlaubnis der Anstaltsleitung teilnehmen.
    Mit den freien Gruppen wird über ein ¾ Jahr ein Stück erarbeitet und aufgeführt.

Ablauf der Proben

  1. Registrierung an der Pforte.
  2. Persönliche Wertgegenstände abgeben.
  3. Ausstattung mit einem Personen Notsignal Gerät (PNG), mit dem in Notfällen das Sicherheitspersonal gerufen werden kann.
  4. Abholung einer/s Mitarbeiters*in der JVA und Begleitung zum Probenraum.
  5. Zuführung der Inhaftierten durch das Sicherheitspersonal.
  6. Proben.
  7. Abführen der Inhaftierten durch das Sicherheitspersonal.
  8. Ein/e Mitarbeiter*in begleitet das Projektteam zum Ausgang.
    Abmeldung an der Pforte, PNG abgeben.

Anforderungen an die Theaterpädagogik

„Die mit der Theaterarbeit verbundene psychische und physische Nähe stellt eine große Herausforderung dar. Eingefahrene Herrschaftsrituale und starre Regeln werden in Frage gestellt und außer Kraft gesetzt. Es gilt, durch einen Körperpanzer aus Muskeln, Angst, Hass und Einsamkeit Zugang zu den Gefangenen zu finden. Der Probenraum muss sich zu einem geschützten Raum entwickeln und gegen allerlei Widrigkeiten behaupten, sowohl von Seiten der Gefangenen als auch der Institution, die sich häufig in ihrem Verwahralltag gestört fühlt. Bereits in diesen Auseinandersetzungen entfaltet die Arbeit ihre soziale, künstlerische und politische Dimension. Für die Gefangenen bedeutet Theater eine Abwechslung, eine Möglichkeit, um Hafterleichterungen zu erhalten, eine Verbesserung des sozialen Status im Gefängnis, aber auch die Gelegenheit, sich selbst in der Gefängnisgesellschaft neu zu deuten.
Radtke, Dirk:<<Gefängnistheater >>, in: Deutsches Archiv für Theaterpädagogik, https://www.archiv-datp.de/worterbuch-gefangnistheater/
 
Die Teilnehmer*innen müssen in besonderem Maße „abgeholt“ werden und spielerische Anreize bekommen, um sich auf das Medium einlassen zu können. Der Bezug zur Lebenswelt, den individuellen Interessen der Inhaftierten, spielen hier eine bedeutende Rolle.
Theaterspielen, an einem stark „hierarchisierten“ Ort wie dem Gefängnis, erfordert Mut.
Mut, Emotionen zuzulassen, diese vor anderen zu zeigen, sich damit in gewisser Weise angreifbar und verletzbar zu machen und den eigenen Status zu hinterfragen.

Umgang mit Straftaten
Theater hinter Gittern hat einen künstlerischen Schwerpunkt und versucht Kunst und Kultur an Orte zu bringen, an denen es kaum bis gar keine Berührungspunkte damit gibt.  
Die Inhaftierten sind Mitgestalter*innen eines künstlerischen Produktes, deren darstellerisches Potential zu entfalten gilt.
Das Wissen über die Straftaten der Inhaftierten wird vom Projektteam bewusst abgelehnt.
Es bildet die Basis, um „unbelastet“ und unvoreingenommen miteinander arbeiten zu können.  
Der Probenraum soll den Spieler*innen einen geschützten Raum bieten, in dem die begangene Straftat für einen Moment „keine Rolle spielt“ und sich jede/r Spieler*in mit anderen Facetten erfahren und zeigen kann.

Chancen und Möglichkeiten

Chancen der Theaterarbeit im Gefängnis
Die Theaterarbeit ermöglicht Abwechslung zum Gefängnisalltag. Schaffen es die Inhaftierten sich auf die künstlerische Arbeit einzulassen, können entlastende Freiräume entstehen, in denen die eigene Person wieder an Bedeutung erfährt. Der belastende Zustand des Eingesperrt-seins, Gefühle von Fremdbestimmung und Ohnmacht, können im schöpferischen Tun für einen Moment in den Hintergrund rücken.
Im darstellenden Spiel kann sich der Einzelne mit anderen Facetten zeigen und durch sein theatrales Wirken Anerkennung und Wertschätzung erfahren.
Die Präsentation vor Publikum ist in diesem Kontext bedeutend, denn nur so erfährt das Tun Resonanz und ermöglicht das Durchbrechen der gewohnten Denkmuster bei Zuschauenden. 

Die Gruppe ist ebenso bedeutsam. Sie ist der direkte Spiegel, in dem Selbstwirksamkeit erfahrbar werden kann und soziale Erfahrungen, wie Miteinander und Verantwortung, gemacht werden können. 
All dies kann die Person nachhaltig bestärken und resozialisierend wirken.