25/04/25

STADTTHEATER

ABO

forecast : ödipus – living on a damaged planet (τύφλωσίς, II)

von Thomas Köck

Regie Maike Bouschen Bühne & Kostüme Franziska Isensee Musikalische Leitung Tim Thielemans Dramaturgie Carola von Gradulewski
Mit Michaela Allendorf, Jasper Diedrichsen, Ulrich Hoppe, Thomas Fritz Jung, Ruth Macke, Mark Harvey Mühlemann, Lilian Prent, Anne Rohde
Dauer 2:20 Stunden, inklusive Pause

Theben ist vom Klimawandel gezeichnet: die Böden staubtrocken, die Luft verschmutzt und Trinkwasser eine knappe Ressource. Und trotzdem zerschneiden mehrspurige Autobahnen Städte und Landschaften. Ein Systemwechsel hin zu einer Politik des Verzichts liegt in weiter Ferne. Die Mahnungen der Priesterinnen verhallen ungehört, ein Chor wohlstandswutschnaubender greiser Männer beharrt auf dem Status Quo und zwischendrin streiten die politischen Führer Ödipus und Kreon um die richtigen politischen Strategien und die Vormachtstellung im Staat. Ödipus' Gattin Iokaste positioniert sich auf der Seite der Eliten und spricht der breiten Masse der Bürger*innen politisches Urteilsvermögen ab. Was sagt in dieser verfahrenen Situation das Orakel von Delphi? Und welche Botschaften übermittelt der blinde Seher Teiresias an die Menschen?

Der vielfach ausgezeichnete österreichische Autor Thomas Köck hat eine Neuinterpretation des antiken Stoffes geschrieben. Ödipus als Prototyp des Rätsellösers hat bei ihm ausgedient, alle Erkenntnisse liegen auf dem Tisch. Die Expert*innen stellen uns ihr komplettes Wissen zur Verfügung. Warum schaffen wir es trotzdem nicht, unser Verhalten sowohl als Gesellschaft, aber auch als Individuen, zu ändern? Zwei Positionen prallen bei Thomas Köck aufeinander. Teiresias hat sich mit der bestehenden Ordnung arrangiert, das Orakel von Delphi dagegen spricht die bittere Wahrheit aus: Die Party ist vorbei. Regisseurin Maike Bouschen wird mit feinem Gespür für Sprache und Rhythmus Thomas Köcks Überschreibung auf die Bühne bringen und den Resonanzraum zwischen Antike und Zukunftsszenario ausloten.

Termine und Tickets

Hier gilt das Kulturticket

April
Freitag, 25.04.2025 | 20:00 | Tickets (Premiere)
Sonntag, 27.04.2025 | 18:00 | Tickets
Dienstag, 29.04.2025 | 20:00 | Tickets
Mittwoch, 30.04.2025 | 15:00 | Tickets*

*Immer am Mittwoch-Nachmittag im Stadttheater: Ermäßigter Preis auf allen Plätzen

Mai
Freitag, 02.05.2025 | 19:30 | Tickets
Samstag, 03.05.2025 | 20:00 | Tickets
Dienstag, 06.05.2025 | 19:30 | Tickets
Mittwoch, 07.05.2025 | 20:00 | Tickets
Donnerstag, 08.05.2025 | 19:30 | Tickets
Samstag, 10.05.2025 | 20:00 | Tickets
Donnerstag, 15.05.2025 | 20:00 | Tickets
Freitag, 16.05.2025 | 19:30 | Tickets
Samstag, 17.05.2025 | 20:00 | Tickets

Rund ums Stück

Preview für Pädagog*innen
Mittwoch, 23.04.2025 | 18:30 Uhr | Stadttheater
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich via: junges-theater@konstanz.de 

Einführungen durch die Dramaturgin
Dienstag, 29.04.2025 | 19:15 Einführung im Parkett
Freitag, 02.05.2025 | 18:45 Einführung im Parkett
Samstag, 03.05.2025 | 19:15 Einführung im Parkett
Dienstag, 06.05.2025 | 18:45 Einführung im Parkett
Donnerstag, 08.05.2025 | 18:45 Einführung im Parkett
Donnerstag, 15.05.2025 | 19:15 Einführung im Parkett
Freitag, 16.05.2025 | 18:45 Einführung im Parkett
Samstag, 17.05.2025 | 19:15 Einführung im Parkett

Pressestimmen

In Konstanz liefern sich die beiden nun ein packendes Expertenduell. Pythia, Priesterin des Orakels (Anne Rohde), vertritt die Klartext-Fraktion. Nicht nur ist der Mensch selbst schuld, zetert sie: Er kann auch den Untergang stoppen, wenn er nur endlich sein Leben ändert. Teiresias (Michaela Allendorf) erzählt das Gleiche, nur aus anderer Perspektive: Der Mensch ist schuld, aber um das System zu ändern, muss er an die Ursachen ran und erst mal in aller Ruhe herausfinden, wer damals König Laios umgebracht hat. (...)
Zu großartigem Theater wird dieser Abend in der Regie von Maike Bouschen (...) weil er sein Publikum vor sich selbst gruseln lässt. Wenn wir alle nämlich nach ein bisschen Schaudern wieder nach Hause gehen und so weiterleben wie immer, ruft eine erzürnte Iokaste am Schluss: Dann liege es daran, dass wir uns das Schaudern in Wahrheit längst abgewöhnt haben. Der Kapitalismus frisst unsere Gefühle auf. Darin liegt die eigentliche Tragödie unserer Zeit. 

Johannes Bruggaier, Südkurier, 26.04.25


(Regisseurin Maike Bouschen) inszeniert "forecast : ödipus" als Pop-Techno-Revue und dramatisches Kammerspiel mit Anflügen von moralschwerem Diskurstheater. Ihre vier Schauspielerinnen und vier Schauspieler beherrschen den Wechsel von lässiger Ironie zu sophokleischem Tiefgang. Ausstatterin Franziska Isensee hat auf die leere Bühne das stählerne Gerippe eines riesigen Cybertrucks gebaut. Auf diesem turnen Ödipus, Iokaste, Kreon und Teiresias munter herum, feiern Party, hängen auch mal ratlos in den Stahlstangen. Doch im Mittelpunkt stehen Seher Teiresias und Orakel Pythia. Es ist der Kampf zwischen zwei Systemen - dem rückwärtsgewandten, alles soll so bleiben wir es war, und dem wissenden, es muss sich etwas ändern, sonst folgt die Katastrophe. 

Julia Nehmiz, nachtkritik, 26.04.25


Maike Bouschen zeigt in ihrer wahrlich grandiosen Regiearbeit, die auch durch humorvolle Töne punkten kann, nicht nur anhand Ödipus' tragischen Schicksals und dem Vergleich mit Sonnenkönig Ludwig XIV. ("Fortschritte entstehen im Palast, nicht dort draußen im Volk"), wie blind und schockstarr viele Politiker auf unserem Planeten doch vor der Wirklichkeit sind und wie unfähig zum Teil, gewisse Konflikte im Sinne des Volkes zu lösen.

Philipp Findling, Singener Wochenblatt, 26.04.25

Content Note

Das Team des Theater Konstanz setzt immer wieder einen Schwerpunkt auf aktuelle Stoffe und Stücke zeitgenössischer Autor*innen. Das Verhandeln von gesellschaftlichen Konflikten ist uns wichtig und kann erlebbar machen, dass und wie unsere Wirklichkeit gemacht, hergestellt – und deswegen auch veränderbar ist. Diese Auseinandersetzung mit konfliktreichen Themen auf einer sinnlichen, gespielten Ebene kann und möchte bewegen.

Je nach persönlicher Sensibilisierung können solche Auseinandersetzungen als (zu) schmerzhaft empfunden werden. Im Sinne einer transparenten Kommunikation und im Bewusstsein darüber, dass Stückinhalte aufgrund von individuellen Erfahrungen verschieden erlebt werden, gibt es hier zusätzliche Informationen über Inhalte, die wir als sensibel einstufen. Diese Hinweise zu sensiblen Inhalten – auch Content Notes – weisen darauf hin, dass bestimmte Themen auf der Bühne verhandelt werden, die starke Reaktionen auslösen können. Ein Kritikpunkt an Content Notes ist, dass sie Teile der Inszenierung vorwegnehmen können. Im Sinne einer selbstbestimmten Entscheidung wird es im Folgenden jeder und jedem Einzelnen überlassen, die inhaltlichen Hinweise zu lesen oder nicht.

forecast : ödipus living on a damaged planet (τύφλωσίς, II) | Content Note
 
Die Inszenierung thematisiert auf verbaler Ebene Inzest, Suizid und Mord bzw. Tötungsdelikte, u. a. durch ein Auto. Die Selbstblendung der Figur des Ödipus wird unter Verwendung von Kunstblut szenisch nachgestellt. Außerdem kommt in der Inszenierung Stroboskoplicht zum Einsatz.

"Io Io Io – ach Welt, ach Klima, ach Mensch": Über das Stück von Thomas Köck

In seiner Neufassung von Sophokles’ „König Ödipus“ spannt der Autor Thomas Köck einen Bogen von der antiken Welt, in der die Menschen scheinbar Spielball der Launen der Götter sind, hin zu unserer Gegenwart – einer Zeit des technischen Fortschritts, des ungebremsten Wirtschaftswachstums und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen bis an die Belastungsgrenzen unseres Planeten. Ganz im Gegensatz zum tragischen Helden Ödipus verfügen wir über alle Erkenntnisse und halten dennoch fest an überkommenen Verhaltensweisen, kommen nicht in ein unserer Situation angemessenes Handeln. Ein Chor wohlstandswutschnaubender Greise plädiert in Köcks Überschreibung für Besitzstandsbewahrung, will im wahrsten Sinne des Wortes die Füße nicht vom Gaspedal nehmen, denn die vier- und achtspurigen Autobahnen wollen befahren werden und nicht umsonst gebaut sein. Die herrschende Klasse lebt ungeachtet der klimatischen Verwerfungen ihr abgeschirmtes Leben im Luxus und nimmt sich nur sehr zögerlich der Nöte der Bürger*innen Thebens an.

Thomas Köck hat „forecast : ödipus. living on an damaged planet (τύφλωσίς, II)” 2023 als Auftragsarbeit für das Schauspiel Stuttgart geschrieben und nimmt mit dem Auto das wichtigste deutsche Industrieprodukt ins Visier, das gleichermaßen für Wohlstand und Aufstieg, aber auch für Umweltzerstörung steht. Im Spannungsfeld zwischen den Prognosen einer düsteren Zukunft einerseits und der manifesten Blindheit (dt. Übersetzung des Titelzusatzes τύφλωσίς) angesichts der Klimakrise andererseits bewegen sich die Bewohner*innen Thebens. Ihre (und unsere) Ignoranz ist ein mehr oder weniger bewusstes Verschließen der Augen angesichts multipler globaler Krisen. Im Zeitalter des Anthropozäns hat der Spruch, „wir gehen mit unserem Planeten so um, als hätten wir noch einen zweiten im Kofferraum“, längst ausgedient. Schon richten sich die Augen von Tech-Milliardären in Richtung Mars und es wird nach Alternativen zu unserem blauen Planeten gesucht.

Thomas Köck beschreibt Mythen als Datenreste auf alten Festplatten, die wir nicht dechiffrieren können, weil sie Träger alter, überholter Ideologien sind. Ein System, das über keine Problemlösungskompetenz mehr verfügt. Die Suche nach dem Schuldigen, dem Sündenbock, dessen Ausgrenzung den alten Status Quo wieder sichern soll, greift nicht mehr. Das System Laios hat ausgedient. Als Ödipus am Ende der Geschichte ganz wie bei Sophokles sich selbst als den Mörder des Laios entlarvt, ist damit nichts gelöst. Augenfällig wird das vor allem durch eine Figur, die Thomas Köck neu zu Sophokles Tragödie hinzufügt: Pythia, die Stimme des Orakels, Gegenspielerin zum blinden Seher Teiresias. Sie spricht von Beginn an die bitteren Wahrheiten aus, vor denen die Menschen von Theben ihre Augen verschließen: Dass die Ressourcen aufgebraucht sind, dass das ewige Wirtschaftswachstum an seine Grenzen stößt, dass die Party vorbei ist. Der blinde Seher Teiresias und Pythia geraten darüber in Streit, wie in dieser Situation zu verfahren sei. Teiresias möchte weiterhin durch lukrative Berater*innentätigkeit von der Blindheit der Herrschenden profitieren, Pythia dagegen fordert den Wandel.

Während der antike Vorgänger alle Hebel in Bewegung setzt, um das Verbrechen, das Unheil über die Stadt Theben gebracht hat, aufzuklären, macht sich Köcks Ödipus eher missmutig an die Ermittlung des Mordes an Laios. Nur langsam dämmert Thomas Köcks Ödipus, dass nicht er das Zentrum des Universums ist. Aber was folgt aus dieser Erkenntnis? 

Während bei Sophokles die Überwindung der Blindheit (τύφλωσίς), die Selbsterkenntnis, der Schlüssel zur Lösung aller Probleme Thebens zu sein schien, stellt Köck dieses Konstrukt quasi auf den Kopf. Unsere Ignoranz ist eine andere als die des Sophokleischen Ödipus. Der Brüchigkeit der Welt und ihrer Gewissheiten begegnen wir mit Verdrängung. Die Suche nach der Erkenntnis liegt bereits hinter uns und was wir aus unserem Wissen machen, ist noch offen. „Back to normal“ wäre die schlechtere Option.

"Io Io Io – ach Welt, ach Klima, ach Mensch" ist ein Eigenbeitrag von Dramaturgin Carola von Gradulewski.

Audioeinführung von Dramaturgin Carola von Gradulewski

Theater Konstanz
© Ilja Mess
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